| Stuttgart

Michael Theurer: Abschied und Dank

An die Mitglieder des Bundesvorstandes
 

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir bitten um Beachtung des unten stehenden Schreibens, mit dem Michael Theurer die Niederlegung seiner Ämter als Landesvorsitzender und Mitglied des FDP-Präsidiums erklärt:

 

„Liebe Freundinnen und Freunde,
Sehr geehrte Damen und Herren,

auf diesem Wege möchte ich Sie persönlich darüber informieren, dass ich aufgrund meiner durch Christian Lindner vorgeschlagenen und das Bundeskabinett beschlossenen Ernennung zum Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank Anfang September mein Amt als Vorsitzender des FDP-Landesverbandes Baden-Württemberg sowie als gewähltes Mitglied des Bundespräsidiums der FDP mit Ablauf des 1. September 2024 niederlege. Dies gebietet die für das neue Amt gesetzlich geforderte Neutralität. Natürlich bleibe ich Mitglied der Freien Demokratischen Partei und weiterhin den Freien Demokraten und ganz besonders meinem Landesverband Baden-Württemberg in besonderer Weise immer verbunden.

Der Abschied aus der Politik fällt mir nach über 40 Jahren ehren- und hauptamtlicher politischer Tätigkeit nicht leicht. Ich durfte auf allen direkt gewählten Ebenen als Gemeinde- und Kreisrat, als Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt Horb am Neckar, als Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg, des Deutschen Bundestags und des Europäischen Parlaments sowie in der Bundesregierung als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr und als Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr wirken.

Gleichzeitig geht mit der verantwortungsvollen neuen Aufgabe im Vorstand der Deutschen Bundesbank für mich als Diplom-Volkswirt ein schon als Student gehegter Lebenstraum in Erfüllung. 
Hierfür bringe ich langjährige Erfahrung und einschlägige Kenntnisse mit, unter anderem als Mitglied des Finanzausschusses des Landtags von Baden-Württemberg, als Mitglied des Wirtschafts- und Währungsausschusses und Vorsitzender des Haushaltskontrollausschusses des Europäischen Parlaments, als Sonderberichterstatter der beiden Sonderausschüsse zu Steuervorbescheiden im Rahmen der LuxLeaks-Affäre sowie als Obmann der Liberalen im Panama-Papers-Untersuchungsausschuss und aktuell für Finanzen, Steuern und Haushalt zuständiges Mitglied des FDP-Bundespräsidiums. Weitere einschlägige Tätigkeiten übte ich unter anderem als Stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion mit der Zuständigkeit für Wirtschaft, Mitglied des Verwaltungsrats der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und der Kreissparkasse Freudenstadt aus.

In all diesen Funktionen habe ich intensiv zu aktuellen Fragen der Finanz-, Haushalts- und Geldpolitik und der Bankenregulierung gearbeitet. Ich kehre also nun zu den Wurzeln meiner Ausbildung und Arbeit der letzten Jahre zurück und freue mich auf die neue Herausforderung bei der Deutschen Bundesbank.

Vor genau 10 Jahren und 10 Monaten wurde ich zum Vorsitzenden unseres traditionsreichen FDP-Landesverbands gewählt, wenige Wochen später zum Mitglied des Bundespräsidiums. In dieser Zeit durfte ich mit zahlreichen Parteifreunden der liberalen Sache dienen. Es waren bewegte Jahre in angespannten Zeiten des Umbruchs. Gemeinsam haben wir viel erreicht.

Bei meiner ersten Wahl zum Landesvorsitzenden im Dezember 2013 ging es nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag zuallererst darum, unsere Freien Demokraten zu stabilisieren, neu aufzubauen und an der Sicherung unserer politischen, insbesondere parlamentarischen Existenz zu arbeiten.

Wir haben unseren verfassungsgemäßen Auftrag, an der politischen Willensbildung mitzuwirken, mit Nachdruck verfolgt. Die Südwest-Liberalen haben zahlreiche Debatten in Partei und Öffentlichkeit angestoßen und waren dabei häufig die Vorkämpfer, die früher als andere den richtigen, wegweisenden, zielorientierten Kurs gefunden haben – was nicht immer nur auf Gegenliebe gestoßen ist.

Dabei möchte ich besonders an die Corona-Zeit erinnern, als die FDP und in besonderer Weise unser Landesverband gegen zahlreiche - auch innere - Widerstände auf Wahrung von Verfassungs- und Verhältnismäßigkeit gedrungen hat. Unter Einsatz unserer parlamentarischen Existenz haben wir die Einhaltung der Freiheits- und Bürgerrechte beim Gesundheitsschutz verteidigt. So haben wir Ausgangssperren konsequent abgelehnt und eine allgemeine Impfpflicht verhindert.

In Zeiten der Krise werden die Freien Demokraten mehr gebraucht denn je, denn dann ist der Zeitpunkt, in dem der Geist des Autoritarismus seine Chance wittert.

Der konsequente Kampf für unsere Überzeugungen wurde von den Bürgerinnen und Bürgern auch mit den entsprechenden Wahlergebnissen honoriert. 2014 konnten wir unsere kommunale Verwurzelung und unseren Sitz im Europäischen Parlament verteidigen. 2016 waren wir in Baden-Württemberg der Motor der Länderwende und haben unser Landtagswahlergebnis deutlich verbessert, 2017 haben wir im Südwesten mit 12,7% einen erheblichen und weit überdurchschnittlichen Beitrag zum Wiedereinzug der FDP in den Bundestag geleistet, 2019 die kommunale Basis auf ein nie dagewesenes Niveau verbreitert. Es gab noch nie so viele liberale kommunale Mandatsträger in Baden-Württemberg. Und 2021 haben wir in Baden-Württemberg mit 10,5% bei der Landtagswahl und 15,3% bei der Bundestagswahl, dem bundesweit besten Ergebnis aller Landesverbände nochmal eine Schippe draufgelegt und einen wesentlichen Beitrag zum Gesamterfolg der FDP geleistet. Das war eine großartige Teamleistung von ehren- und hauptamtlichen Parteimitgliedern, Funktionären und Mandatsträgern, auf die wir gemeinsam stolz sein dürfen.

Auch bei den aktuellen Kommunal- und Europawahlen konnten wir uns in schwierigster Zeit behaupten.

Dass wir inzwischen nicht mehr wie bei meiner Amtsübernahme acht, sondern 35 Abgeordnete haben und damit deutlich mehr als jeder andere Landesverband, ist dabei kein Selbstzweck. Jeder dieser Abgeordneten leistet einen substanziellen Beitrag, unser Land lebenswert und erfolgreich zu gestalten. Vor allem aber sollten wir folgendes bedenken: Hätte der Landesverband Baden-Württemberg bei der Bundestagswahl 2021 nicht wie erwähnt mit 15,3% exzellent und im Verhältnis zum bundesweiten Ergebnis von 11,5% überdurchschnittlich abgeschnitten, hätte dies allein rechnerisch schon zu einer rot-rot-grünen Mehrheit im Bundestag führen können. Welche negativen Konsequenzen eine solche rot-rot-grüne Regierung gehabt hätte – außenpolitisch, wirtschaftspolitisch, finanzpolitisch – möge sich jeder selbst ausmalen.
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Klar ist, dass eine solche Bundesregierung nicht jedes Jahr die Steuern gesenkt hätte; wir sind für 2023 bei der niedrigsten Steuerquote seit 2015 angekommen (ausgenommen temporäre Maßnahmen während Corona). Auch für 2024 haben wir erneut die Steuern deutlich gesenkt. Für 2025 sind wieder Steuersenkungen unter Einhaltung und Verteidigung der Schuldenbremse vorgesehen - und das bei gleichzeitiger deutlicher Steigerung der Investitionen. Wir haben Bürokratie abgebaut und Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung durchgesetzt. Und unsere FDP kämpft für das freie Europa, indem wir für die Unterstützung der Ukraine gegen den Aggressor Russland sorgen und unsere eigene Verteidigungsbereitschaft wiederherstellen. Auch unser Einsatz für das Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels, der mir persönlich ein besonderes Anliegen ist, beeinflusst die Positionierung der Bundesregierung maßgeblich.

Für diese liberale Politik, für dieses Gegenmodell zum Irrweg der Autoritären und Etatisten, werden wir immer Anfeindungen ertragen müssen, die wir gelassen hinzunehmen sollten. Wie sagte die Publizistin Marion Gräfin Dönhoff? „Der legitime Platz des Liberalen ist zwischen allen Stühlen. Es darf ihn nicht kümmern, wenn er von allen Seiten beschimpft wird. Wer stark genug ist, den Vorwurf der Linken zu ertragen und vor der Rechten nicht in die Knie zu gehen, der kann auch der Zukunft getrost entgegensehen – selbst wenn der Liberalismus immer wieder totgesagt wird.“

Die FDP trägt in schwierigster Zeit Regierungsverantwortung. In der gegenwärtigen Bundesregierung konnten wichtige Weichen in die richtige Richtung gestellt werden. Welche Kraftanstrengung es erfordert, unser Land auf einem Kurs der liberalen Mitte und der marktwirtschaftlichen Vernunft zu bringen und zu halten, und gleichzeitig Friede und Freiheit in Europa zu sichern, kann jeder anhand der Presseberichte nachvollziehen. Es bleibt auch in Zukunft in Bund, Land und Europa mehr als genug für uns zu tun. Unser Land braucht dabei selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht als Staatskunden verstehen, sondern eigenverantwortlich für die Freiheit, für ihre Interessen und für Rechtsstaat und liberale Demokratie einstehen. In besonderer Weise wünsche und erwarte ich mir dies von unseren Mitgliedern.

Im Landesverband haben wir in meiner Amtszeit zahlreiche Reformen beschlossen, die den Mitgliedern innerparteilich mehr Rechte einräumen; ich rufe dazu auf, diese auch zu nutzen, auch und gerade, weil die Mitgliederzahl in dieser Zeit von rund 6.600 auf knapp 10.000 gestiegen ist.

Mein Aufruf gilt für das gesellschaftliche und politische Engagement insgesamt. Der freiheitliche, demokratische Staat kann sich nur sehr eingeschränkt selbst schützen. Das wurde in besonderer Weise während Corona deutlich, als der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn im Entwurf des „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ ein Notstandsrecht vorschlug, mit dem der Bundestag die Ausrufung des Notstands nicht selbst hätte rückgängig machen können. Es ist ein Glücksfall, dass erstens die damalige Bundesregierung sich dazu entschied, die Zustimmung der demokratischen Opposition anzustreben, zweitens dem grünen Kollegen und mir die Passage auffiel und drittens Christian Lindner in der Chef-Verhandlungsrunde die Streichung der Passage durchsetzen konnte. Doch derlei Vorfälle zeigen, wie anfällig schon im Gesetzgebungsverfahren unsere freiheitliche Demokratie sein kann und gelegentlich auch ist. Schutzmechanismen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten abgebaut wurden, müssen dringend wiedererrichtet werden. Meine damalige Überzeugung, dass diese Zeit nur mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss angemessen aufgearbeitet werden kann, besteht im Übrigen unverändert fort.

Gleichzeitig mahne ich zu einer entschlossenen inhaltlichen Auseinandersetzung mit den politischen Extremen. Ich bin davon überzeugt: Wer saubere politische Arbeit leistet, muss sich nicht davor fürchten, wenn Menschen auch am linken und rechten Rand des politischen Spektrums ihre demokratischen Rechte ausüben; allerdings dürfen wir unser eigenes politisches Verhalten, schon gar nicht das Abstimmungs- und Wahlverhalten, davon abhängig machen. Die Weimarer Republik ging auch daran zugrunde, dass mit den Notverordnungen die Entscheidungsträger der Demokraten sich selbst antidemokratisch verhalten haben.

Unsere Aufgabe als Freie Demokraten wird es auch in Zukunft sein, die Mitte stark zu machen.

Darauf sollten wir uns konzentrieren und auch Probleme und Herausforderungen offen ansprechen. Mein Motto lautet: Sagen was ist, machen was geht.

Dies gilt auch für das Feld von Migration und Innerer Sicherheit: Probleme müssen benannt werden, die Furcht, damit politisch den Falschen zu helfen, darf niemals handlungsleitend sein. Der Rechtsstaat muss durchgesetzt werden und die ideologische Auseinandersetzung mit religiösen Fanatikern wie auch mit Links- und Rechtsextremisten muss mit offenem Visier geführt werden.

Dabei ist es zweifelsohne derzeit eine große Herausforderung, dass die sozialen Medien von russischer Desinformation geflutet werden und deren Trollfabriken die Stimmen rechter und linker Demagogen massiv verstärken. Über den Umgang damit ist eine breitere gesellschaftliche Debatte notwendig.

In meiner letzten Rede vor dem Deutschen Bundestag habe ich mit den folgenden Worten geschlossen: „Ich möchte mich bei allen hier im Hause ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit bedanken. […] Es ist mir als Abgeordneter eine Ehre, diesem Land dienen zu dürfen. Sollte ich mal jemand im Eifer des Gefechtes verletzt haben, bitte ich um Entschuldigung. Meine Damen und Herren, ich möchte mit einem Plädoyer schließen und darf den US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in Erinnerung rufen – ich wünsche mir, dass sich mehr Menschen in diesem Land an seinem Credo orientieren –: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“ Die Bundesrepublik ist ein wunderbares Land. Wir haben alle Potenziale. Gemeinsam können wir das schaffen, wenn wir nicht die Tagespolitik in den Blick nehmen, sondern eine Mehrgenerationenpolitik für die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder.“

Gleichermaßen möchte ich mich bei allen Freunden und Wegbegleitern, bei Diskussionspartnern und Mitstreitern in unserem Landesverband, bei den engagierten ehren- und hauptamtlichen Funktionären, bei unseren Abgeordneten sowie den Helden der Demokratie, den kommunalpolitisch tätigen, herzlich bedanken. 

Mein besonderer Dank gilt den beiden Personen, mit denen ich als Landesvorsitzender am engsten zusammengearbeitet habe, unserer Generalsekretärin und Landesgruppenvorsitzenden Judith Skudelny sowie unserem ersten stellvertretenden Landesvorsitzenden, Landtags-Fraktionsvorsitzenden und Spitzenkandidaten in zwei Landtagswahlkämpfen während meiner Amtszeit, Dr. Hans-Ulrich Rülke.

Die Verantwortung, die aus der Freiheit zum politischen Engagement erwächst, müssen nun andere wahrnehmen.

Es war und ist mir eine Ehre und Herzensangelegenheit, meinen Teil beizutragen.“